Es kommt mir noch wie gestern vor, also ich gerade mein Zeugnis bekommen hatte und schon wenige, ganz wenige Tage später in ein Flugzeug stieg, welches mich bis nach Südamerika bringen sollte. Es ist, als ob ich mein Hinreise im Zeitraffer noch einmal erlebe, ich bin in meiner Vergangenheit, nur andersherum. Als erste, zentrale und letzte Station meines wundervollen Auslandsjahres steht Paraguay und alles wird umrundet von Bolivien, einem faszinierenden Land, in dem ich so viel gelernt, entdeckt und erlebt habe. Es war die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens meinen Zivildienst in Bolivien abzuleisten! Das, was dieses Jahr ganz besonders für mich gemacht hat und was mein Leben prägen wird, sind die Menschen, die ich in dieser so langen und doch gleichzeitig so dermaßen kurzen Zeit kennenlernen durfte, mit denen ich Zeit verbracht habe und an deren Leben ich teilhaben durfte. Die Reisen, die zusätzlich einzigartige und wunderbare Erfahrungen und Erlebnisse darstellen, waren „nur“ das i-Tüpfelchen, denn, auch wenn man auf Reisen schnell und leicht mit unbekannten Leuten aus der ganzen Welt in Kontakt kommt und somit ganz viele Geschichten hört und Erfahrungen teilt, so sind sie doch keineswegs mit einem Leben in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld, in einem anderen Land zu vergleichen, denn dieses gibt einem so viel mehr als nur als Tourist eine Stippvisite in den unbeschreiblichen Regionen Südamerikas zu machen ohne wirklich an dem täglichen Leben teilnehmen zu können.
Ich bin traurig. Traurig darüber, all das wieder hinter mir lassen zu müssen, was mir innerhalb eines Jahres so sehr ans Herz gewachsen ist, traurig meine Familie und Freunde für unbestimmte Zeit nicht mehr sehen zu können, traurig, dass das Jahr so schnell vorbeigegangen ist. Aber in gleichem Maße wie ich meine Abreise bedauere, so sehr freue ich mich doch auch gleichzeitig auf meine Familie, meine Freunde und mein zu Hause in meiner Heimat. Ich habe mich sehr wohl gefühlt in Bolivien und Paraguay, aber es geht doch nichts über das eigene Heim, mit all den Dingen, an die man gewöhnt ist und die man nicht mehr Wert zu schätzen weiß, wenn man sie im täglichen Gebrauch um sich hat.
Es ist ein komisches Gefühl nach so langer Zeit wieder in das gewohnte Umfeld zurückzukehren, denn mittlerweile ist dieses Umfeld nicht mehr ganz so gewohnt. Es bringt eine gewisse Angst mit sich, denn ich möchte all die Dinge, die ich in diesem Jahr gelernt und kennengelernt habe, nicht wieder verlieren, wenn mich die Heimat zurück hat. Es ist falsch zu sagen, dass ich durch dieses Jahr mehr Lebenserfahrung oder eine größere Weltsicht habe, denn all die Menschen, die in Deutschland geblieben sind, haben keinen Nachteil, nur weil sie ihren Zivildienst nicht im Ausland geleistet haben. Nein, ich habe andere Erfahrungen in einem anderen, neuen Umfeld gemacht, die mich persönlich weiterentwickeln lassen haben und mir mir vielleicht eine andere Sicht auf die Welt erlauben, wofür ich sehr dankbar bin, aber einen Vorsprung habe ich dadurch keineswegs erlangt. Da das, was vormals so vertraut war, sich am Anfang sicher ein wenig fremd anfühlen wird, habe ich mir vorgenommen, nicht all die südamerikanische Lebensweise, die man sich innerhalb dieses Jahres als normal angewöhnt, nicht wieder ganz loszulassen und, um mal ein Beispiel zu nennen, mich nach den ersten zwei Wochen Aufenthalt in Deutschland schon wieder über die deutsche Bahn zu ärgern, die zwei Minuten Verspätung hat oder gar fünf, um nicht zu sagen zehn! Doch viel wichtiger als dies ist die Herzlichkeit, die ich vermissen werde, aber nicht mehr aus meinem Leben verbannen will oder auf eine solch distanzierte Weise, wie sie in Deutschland ganz normal ist, praktizieren möchte. Wir brauchen mehr Wärme, mehr liebe Worte, mehr Lachen! Es muss Farbe in das deutsche gesellschaftliche Leben kommen, andere neue Farben und nicht nur die, welche sich schon seit Jahrzehnten bewährt haben. Aber ich will nicht, schon vor meiner Ankunft Kritik üben, nicht im Geringsten. Jetzt, kurz vor dem Abflug nach Frankfurt, sind da nur die Erinnerungen und die Vorurteile, die sich einem, trotz Patriotismus und Heimatliebe, anheften, denn die Realität hier ist eine andere. Wir müssen froh darüber sein, in solch privilegierten Verhältnissen aufgewachsen sein zu dürfen, denn sie vereinfachen das Leben in nicht zu messendem Verhältnis, doch wir sind keine besseren, schlaueren oder weiter entwickelten Menschen, wir sind nur anders aufgewachsen und erzogen worden.
Ich danke all meinen Sponsoren, meiner Familie, meinen Freunden und all den anderen Menschen, die mich in diesem Jahr nicht vergessen haben, so wenig wie auch ich euch nicht vergessen habe und es nie tun werde. Mein Jahr war eine Bereicherung für mein Leben und ich freue mich sehr darauf schon sehr bald wieder bei euch zu sein, denn so sehr ich auf will, so viele Wurzeln und Freundschaften ich auch in und nach Südamerika habe, ich bin Deutscher, ein angepasster Fremder in der Gesellschaft des anderen Kontinents und ich kann es mittlerweile, hier am Flughafen in Sao Paolo sitzend, auch nicht mehr erwarten, wieder inmitten von euch zu sein!
(Der Text wurde in Sao Paolo auf dem Flughafen verfasst, bin wieder gut und heile angekommen!)